September 2011

Frankfurt Airport, Freitag, der 03. September 2011 – es geht los. Um kurz nach 22 Uhr hebt unsere riesige Maschine Richtung Sao Paulo in Brasilien ab.

Der vorangegangene Abschied war mehr als schrecklich. Was sagt man seinen Besten, wenn man für ein Jahr geht? Ich denke nicht, dass die richtigen Worte von mir gefunden wurden.

Emotional mehr als unausgeglichen ging es von Flughafen zu Flughafen. Von Sao Paulo nach Asunción in Paraguay, weiter nach Santa Cruz in Bolivien und schließlich nach fast 40 Stunden sind wir in Cochabamba gelandet. Anstrengend und kräftezehrend war es, jedoch hat alles reibungslos funktioniert. Erste Freudensprünge gab es in Santa Cruz, als noch alle Gepäckstücke da waren!

Nach 11 Stunden im Flieger darf man auch mal leicht zerstört in Brasilien aussehen

Endlich ein Flughafen von außen!

 

Um 20.30 Ortszeit wurden wir von Don Enóc und seinem Sohn abgeholt und so fuhren wir in seinem Jeep – wie ihn jeder hier hat – das erste Mal durch Cochabamba.

Holprige Straßen, herunterhängende Stromleitungen, eine brennende Hütte am Straßenrand und ein Mofa mit drei Männern und einer Ziege – bei diesen ersten Eindrücken wurde bereits deutlich, dass hier alles ein wenig anders ist.

Die erste Nacht haben wir im Katechistenzentrum Cadeca verbracht. Dieses Zentrum wird ebenfalls von unserer Parnterorganisation „Missionskreis Ayopaya“ unterstützt und bildet seit Jahren Katechisten aus. Unter einem Katechisten ist ein Vertreter der Kirche in der Dorfgemeinschaft zu verstehen. Sie bereiten mit Gemeindemitgliedern Taufen, Hochzeiten und Ähnliches vor. In Cadeca werden diese jungen Männern vom Pfarrer, derzeit Padre Gonzalo, angelernt. Hierzu bietet das Gelände einige Wohnräume und auch Seminarsäle.

Aufgrund der engen Beziehung zwischen Cadeca und dem Centro Social haben wir glücklicherweise jederzeit in Cochabamba eine feste Anlaufstelle.

 

 

Cadeca in Cochabamba

 

An unserem ersten Morgen in Cochabamba haben wir die Messe von Padre Gonzalo besucht. Ich habe noch nie eine so bunte Kirche gesehen. Alles ist in grellen, leuchtenden Farben bemalt im ganz eigenen bolivianischen, modernen „Kunststil“.

Der Gottesdienst hat sich insoweit unterschieden, dass die Anwesenden sehr intensiv mit einbezogen wurden. Auch war es sehr auf die Kinder und Jugendlichen ausgerichtet und der Padre hat stellenweise mehr an einen Comedian, als an einen Priester erinnert. Auch der ständig aufbrausende Applaus für die Bibel hat uns ein dezent verwirrt.

Es gab eine Powerpointpräsentation, was das Wort Gottes alles für uns darstellt und zwar:

Spiegel, Lampe, Milch, Feuer, Süßigkeiten, Honig und auch ein Schwert kann es sein.

Zusammenfassend kann man sagen, dass eine andere Ernsthaftigkeit im Bewusstsein der Menschen spürbar war, doch dass Das, was und vor allem wie gesagt wurde, für uns eher befremdend war.

Bei diesem Gottesdienst ist uns auch das erste Mal bewusst geworden, wie sehr man als weißes Trio mitten unter den Bolivianern angestarrt wird. Wir haben es weniger, als Abneigung oder gar Feindseligkeit, sondern mehr als Neugierde empfunden.

 

Nachmittags haben wir uns den nahegelegenen Vorort Quillacollo angesehen. Zufälligerweise war autofreier Sonntag und daher hat Alles einen sehr friedlichen Eindruck gemacht. Spielende Kinder auf den Straßen, Fahrradrennen und überall wurde auf der Straße gekocht. Unser erstes kulinarisches Highlight: überragend leckerer, frischgepresster Saft aus Amazonasorangen für entspannte 25 Cent!

Die Plaza in Quillacollo

 

 

 

Stromleitung in greifbarer Nähe!

 

 

 

Hilft natürlich auch gegen Einbrecher: Eingegossene abgeschlagene Flaschen

 

In den nächsten Tagen haben wir das Stadtleben Cochabambas ein wenig erforscht.

Diese Stadt in wenigen Worten zu beschreiben, ist für mich unmöglich. Die Gehsteige sind eng, schief und übersät mit Cholitas (=Begriff für die „typisch“ bolivianische Frau), die von Handys über Süßigkeiten, Stoffe, Pahnflöten, Erfrischungsgetränke bis hin zu Tierinnereien wirklich alles verkaufen wollen.

Die Straßen sind vermutlich zweispurig ausgelegt, aber an sich fährt, wer Platz hat und am aggressivsten hupt.

Das gängige Verkehrsmittel ist eine Art Großraumtaxi. Es gibt die kleineren „Truffies“ und die etwas größeren „Micros“. Man kommt für ca 1,70-2,20 BS (10 Bolivianos entsprechen ca. 1€) von Cadeca aus in Stadtzentrum. Diese Taxen machen sobald jemand „¡Bajo, por favor!“ ruft, mitten auf der Straße eine Vollbremsung, um denjenigen aussteigen zu lassen. Untermalt wird diese Szenerie von bolivianischer Technomusik zu der der sonst vollkommen emotionslose Fahrer rhythmisch nickt.

In der Stadt haben wir uns Handys, einen Webstick und derlei Sachen besorgt.

Auf der riesigen „Cancha“ – eine große Markthalle, die an einen Souk in arabischen Ländern erinnert, kann man wirklich alles kaufen. Julia und David haben eine recht schöne Gitarre für 300BS gefunden, was sich jetzt schon als eine sehr gute Investition herausgestellt hat!

Glücklicherweise waren in unseren ersten Tagen in Cochabamba ziemlich viele Deutsche bei uns, die uns den Einstieg doch sehr erleichtert haben. Unter anderem haben wir Carina, die Freiwillige aus dem Jahr 2009/2010, kennengelernt und waren mit ihr und einem ihrer bolivianischen Freunde am Abend in einer kleinen und alten, aber sehr sympathischen Kneipe, wo wir „el cacho“, ein für Cocha typisches Würfelspiel, gelernt haben. Die Atmosphäre war an diesem Abend wirklich sehr angenehm und es war richtig interessant zum ersten Mal mit Gleichaltrigen zu sprechen. Wobei das Wort „sprechen“ für unsere Spanischkenntnisse vielleicht ein wenig hochgegriffen ist, doch es hat trotzdem funktioniert und wird von Tag zu Tag besser.

 

Am Mittwoch, den 07. September wurden wir dann wieder von Don Enóc – er ist nach Schwester Verena der Verantwortliche fürs Centro Social – abgeholt und nach Independencia gebracht.

Die Fahrt war wunderschön und weniger anstrengend als befürchtet, obwohl es uns nach fünf Stunden dann wirklich gereicht hat.

Auf dem Weg von Cochabamba nach Independencia haben wir von Kopfsteinpflasterwegen, endlosen Serpentinen in den Bergen, Flussbetten und Schotterpisten wirklich alles durchquert. Dabei gab es auch Kolibrischwärme und die ersten Alpacas zu bewundern!

Alle Fotos leicht verwackelt, aber so sahs auf den guten Straßen aus

Mit Sack und Pack und dem besten Jeepfahrer der Welt 🙂

 

Der höchste Pass auf dem Weg ist 4500m hochgelegen und genau dort oben haben wir kurz Pause gemacht und einen riesigen See gesehen. Die Fotos sind leider nicht ansatzweise so schön geworden, wie der Anblick war: Von dem glasklaren Wasser sind drei riesige Wasservögel (vielleicht so etwas wie Kraniche?) aufgestiegen und vor den vor den mächtigen, schneebedeckten Gipfeln verschwunden.

Erahnen lässt sich’s vielleicht:

Grotesk an der Fahrt war es zu sehen, dass mitten im kärgsten, trockensten und unwirklichsten Nichts Menschen leben. Dort, wo es so kalt und staubig ist, hab ich persönlich nicht mit Bewohnern gerechnet und mir ist noch unbegreiflich, wie und vor allem warum sie Tag für Tag einer so lebensfeindlichen Umgebung trotzen.

Erster Blick auf Independencia – unser zu Hause fürs nächste Jahr

 

In Independencia angekommen, wurden wir von Schwester Verena, Don Celestino (dem Nachtwächter) und Katharina und Miriam empfangen. Ganz traditionell wurden unsere Köpfe mit Konfetti bestreut. Und es gab so leckeren Salat am Abend, das erste Mal nach einer Woche, dass ich wieder was essen konnte. Umso besser hats geschmeckt!

In den ersten Tagen haben wir unser Zimmer eingerichtet und umgestellt, da die Räume hier so schief und rissig sind, das man alle paar Wochen sein Bett drehen muss, damit der Kopf nicht nach unten liegt. Das Highlight waren nach zwei Tagen neue Matratzen, die 20 Jahre alten Freiwilligenbetten waren doch schon minimal durchgelegen..

 

Neue Matratzen! Da ist die Länge auch mal nicht so relevant..

Der mit Abstand schönste Fleck im Zimmer (:

 

Miriam und Katharina haben uns alles in Independencia gezeigt und es war echt super, dass die Beiden für den Anfang da waren. Katharina ist die Nichte zweiten Grades von Schwester Verena und Miriam eine Freundin von ihr. Mit den zwei und dann später auch wieder Carina hatten wir eine super erste Zeit in Independencia.

Julia, Miriam, David und Katharina am großen Sportplatz, wenn auch nicht hochmotiviert

Tourismusbüro in Independencia läuft – bei jährlich ca. 15-20 Touristen auch eher ein entspannter Job

 

Die erste Woche war sehr ruhig, da sie schul- und somit internatsfrei war. Zum Einleben und sich auskennen nicht unpraktisch, aber viel zu still. Ohne Arbeit ist in unserem Dorf wirklich nicht die Welt los. Da hat auch der Abend in der Dorfkaraokebar nicht wirklich geholfen, obwohl es schon sehr amüsant war! Hier tanzt man in zwei parallelen Reihen, natürlich streng nach Geschlecht getrennt, und verlagert sein Gewicht abwechselnd von rechts nach links. Aber bitte ohne sich dabei von der Stelle zu bewegen! Eine Bar gibt es nicht. Man kauft im benachbarten kleinen Laden Cola oder „Bier“. Das Bier ist leider mehr wässrig-blubbrig, als bierig. Naja, man kann eben nicht alles können.. Je später die Nacht, desto lockerer werden die Bolivianer beim Tanzen und gegen 02.00 gehts zu den traditionellen Volkstänzen richtig ab! Das kann man nicht beschreiben, sondern muss man sehen.

 

Am Montag sind dann auch die Kinder alle gekommen, teilweise ist es für sie eine 6 Stunden-Wanderung in die Schule. Jedoch ist nicht sofort der reguläre Schulalltag eingekehrt, denn am 14. September war „Día de Cochabamba“ und der wurde von Montag Abend bis Mittwoch in Independencia gefeiert und klang anschließend in der „Fiesta de Machaka“ im Nachbarort bis Sonntagabend aus.

Für die Schüler bedeuten solche Festtage lang einstudierte Umzüge und Märsche durch die Hauptstraße durch Inde. Diese können bis zu 1,5 Stunden dauern und werden durchgehend von der schuleigenen Blaskapelle begleitet. Hierbei besteht auch immer eine gut spürbare Rivalität zwischen den beiden Schulzentren in Independencia. Unsere Schulzentrum trägt den Namen „Fe y alegria“ und ist dafür bekannt, dass sie die ärmeren Kinder aus dem Campo (also die ländliche Provinz Ayopaya) aufnimmt und ausbildet. Desweiteren gibt es noch eine Don Bosco-Schule in Independencia, die sich für „westlicher und moderner“ hält. Sie hat den Ruf einer „Eliteschule“, da sie sich mehr auf die nicht-traditionellen Familien aus der Stadt (ja, hier ist ein 4000 Einwohnerdorf eine westliche Stadt!) fokussiert hat. Uns kam die Rivalität dieser beiden Schulen wirklich sehr lächerlich vor. Es gilt immer den anderen zu übertrumpfen („Oh nein! Die Don Boscos haben dieses Jahr eine Pauke mehr als wir!“) und das wirkt in dieser Situation doch eher unangebracht als hilfreich. Auch auf der Ebene der Schul- und Dorfverwaltung scheinen die beiden Schulen stets gegeneinander zu arbeiten, jedoch können wir uns davon natürlich erst im Laufe der Zeit ein Bild machen.

Auch die Kleinsten marschieren und tanzen

Die Fe y Alegria Trommler

 

Die Kathi ist ganz brav mit den Kindergartenkindern mitgelaufen

 

Auf dem Fest in Machakka waren wir nicht, da es die Schwester nicht für angebracht hielt, uns an unserem ersten Wochenende einem „ganz bösen und gefährlichem“ Saufgelage auszusetzen. Innerlich haben wir diese Ansicht zwar nicht zu 100 Prozent geteilt, aber haben dies für den Anfang einfach mal so akzeptiert. Es wird sicherlich noch die ein oder andere Fiesta zum Mitfeiern geben.

In diesen Tagen haben wir ein wenig die Gegend erkundet. Wir sind zu einem gerade leeren Flussbett gewandert, das witzigerweise den Namen „Las Vegas“ trägt, obwohl dort absolut nichts ist.

Gute Laune in Las Vegas

noch trockenes Flussbett, in der Regenzeit komplett mit Wasser bedeckt

 

Auch sind wir die Wasserfälle zumindest teilweise hochgeklettert. Das war wirklich witzig: In einem Moment läuft man durch einen trockenen, Eukalyptuswald und nach 10 Minuten steht man an einem Wasserfall an dem Orchideen wachsen. Die Landschaft hier lässt einen wirklich staunen.

Erst in der Berglandschaft..

.. und plötzlich im Dschungel =)

 

Inzwischen arbeiten Julia und ich jeden Morgen im Kindergarten. In meiner Gruppe sind die 3-4, bei Julia die 4-5Jährigen. Die Kinder sind so herrlich unkompliziert und unvorein-genommen! Da wird man ganz schnell von den riesigen braunen Augen angestrahlt und jeden Morgen angesprungen.

Dennoch ist es anstrengend, da einem nun jedes Sprachdefizit wirklich an der Arbeit hindert. Mit den Kindern lernt man zwar ganz schnell viele Wörter, aber das reicht einfach nicht. Wir büffeln nebenbei ein wenig in unseren Büchern, doch am besten hilft es mit Erwachsenen zu sprechen.

Es gab auch schon ein Fest im Kindergarten: „El día de estudiante“. Hierzu sollte vielleicht erklärt werden, dass absolut jeder in Bolivien „studiert“. Man studiert den Kindergarten, die Grundschule, die Secundaria, eine Friseurlehre und auch die Uni.

Dieses Wort hat ebenfalls Auswirkungen auf den Erziehungsstil in den Einrichtungen. Die 3-4 Jährigen müssen mit den Zahlen von eins bis zehn rechnen und das ganze Alphabet schreiben können. Auch gibt es Hausaufgaben im Kindergarten.

Auf jeden Fall wurde daher am 21. September dieser Tag im Kindergarten mit einer riesigen Torte, Tänzen und vor Allem keinen Hausaufgaben gefeiert!

Die ganze Rasselbande beim Essen

Gleich am Tag darauf war nachmittags in der „Kinder“, so wird die Einrichtung hier genannt, noch ein Fest. Der kleine Carlitos hatte seinen 5. Geburtstag und dazu alle Kinder aus dem Dorf eingeladen. Noch hinzu kamen zwei Clowns, die extra aus Cochabamba angereist sind. Für die Kinder war es ein riesen Spaß, doch für Julia und mich war es nach 9 Stunden im Kindergarten irgendwann genug.

 

Nachmittags beschäftigen wir uns mit den Internen, so werden die Kinder in unserem Internat genannt. Meine Bemühungen ein wenig Volleyball mit den Mädchen zu spielen, haben (milde ausgedrückt) noch nicht sehr gefruchtet. Dafür können sie ganz toll häkeln und sticken – zum Glück macht das ja genauso viel Spaß! Oder so ähnlich …

Die Jungs verhalten sich uns gegenüber noch ein wenig seltsam. Vielleicht ist es eine Art von Schüchternsein oder aber, was wahrscheinlicher ist, bekommen wir hier eine andere Mentalität zu spüren, was den Umgang mit dem anderen Geschlecht angeht. Wir haben auch schon die ersten sehr unfreundlichen „¡Gringa!“- Zurufe bekommen, doch es hält sich in Grenzen. Dazu werde ich im Laufe der Zeit viel mehr sagen können, da das jetzt immer noch die Eingewöhnungsphase ist.

 

Am 25. September fahren wir um 03.00 morgens mit der Flotta nach Cochabamba und dann direkt weiter nach La Paz, um unser Visum zu verlängern. Auf die Fahrt in einem Bus auf so einer Straße bin ich schon sehr gespannt.
Von La Paz und allem Anderen werden natürlich weitere Berichte folgen, aber für den Anfang soll dies erst einmal genug sein – Cheers!

 

 

 

 

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